Stockholm in Aufruhr

Husby-Foto-ELSeit dem Pfin­gst­woch­enende haben in Hus­by und anderen Stock­holmer Vororten Autos, Vere­inslokale und Geschäfte gebran­nt. Sei­ther wird hitzig über die Ursachen und Maß­nah­men disku­tiert. Geht es lediglich um gewalt­bere­ite Jugendliche in blind­er Zer­störungswut oder haben die Unruhen poli­tis­che und soziale Ursachen? Gehen tat­säch­lich nicht nur Autos, son­dern ver­lorene Hoff­nun­gen in Flam­men auf?

Die Auss­chre­itun­gen der let­zten Nächte und Tage wider­sprechen dem Bild von Schwe­den als Muster­beispiel für soziale Gerechtigkeit. Eine Autorin des Afton­bladet spricht von ein­er Seg­re­ga­tion der Vororte vom restlichen Stock­holm. Während Stock­holm eigentlich als mod­erne und pros­perierende Haupt­stadt gilt, sind die Vororte von hoher Arbeit­slosigkeit gekennze­ich­net. Die Migranten, die über­wiegend in den Vororten leben, fühlen sich oft­mals von der Gesellschaft und dem Arbeits­markt aus­geschlossen. Vor­würfe von Frem­den­feindlichkeit und sozialer Ungle­ich­heit wer­den laut.

Als Aus­lös­er für die Unruhen gilt ein Polizeiein­satz in Hus­by in der Woche zuvor, bei dem ein 69-Jähriger von den Ein­satzkräften erschossen wurde. Der Mann hat­te wohl von seinem Balkon aus mit ein­er Machete gedro­ht, woraufhin ein Ein­satzkom­man­do seine Woh­nung stürmte und ihn erschoss – ange­blich in Notwehr.

Zwei Tage darauf ver­anstal­tete die Organ­i­sa­tion Mega­fo­nen eine friedliche Demon­stra­tion, bei der sie den Dia­log mit der Polizei suchte und eine unab­hängige Unter­suchung des Polizeiein­satzes forderte. Die Organ­i­sa­tion ver­sucht seit Jahren, sich Gehör über die Missstände in den Vororten und das Fehlver­hal­ten der Polizei zu ver­schaf­fen. Doch wed­er Medi­en noch Poli­tik reagierten. Als nun auch dieser let­zte Ver­such unbeant­wortet blieb, kochte die Frus­tra­tion in den Vororten über, so Mega­fo­nen.

In den let­zten Monat­en hat­te bere­its das von der Regierung in Auf­trag gegebene Pro­jekt REVA für Span­nun­gen gesorgt. REVA ste­ht für „rättssäk­ert och effek­tivt verk­stäl­lighet­sar­bete“ (rechtssichere und effek­tive Vol­lzugsar­beit) und wurde ini­ti­iert, um Men­schen ohne gültige Aufen­thalts­genehmi­gung zu iden­ti­fizieren und des Lan­des zu ver­weisen. Zu diesem Zweck hat die schwedis­che Polizei die Befug­nis erhal­ten, an öffentlichen Plätzen ver­dacht­sun­ab­hängige Per­so­n­enkon­trollen durchzuführen.
Da in der Prax­is aber Haar- und Haut­farbe die Kri­te­rien dafür zu sein scheinen, wer sich auszuweisen hat, wird das Vorge­hen von vie­len als „Racial Pro­fil­ing“ kri­tisiert. „Wer eine dun­kle Haut­farbe hat, werde ohne jeglichen Ver­dacht gle­ich nach Ausweis­doku­menten und Aufen­thalt­ser­laub­nis gefragt“, bericht­en Augen­zeu­gen und Betrof­fene.

Nach­dem die Jus­tizmin­is­terin Beat­rice Ask dieses umstrit­tene Vorge­hen der Polizei vertei­digte, sah sich der Autor Jonas Has­sen Khemiri zu einem offe­nen Brief an die Min­is­terin in Dagens Nyheter ver­an­lasst. In ihm beschreibt er als Schwede mit Migra­tionsh­in­ter­grund seine per­sön­lichen Erfahrun­gen mit Ras­sis­mus und unter­bre­it­et Ask den Vorschlag, für 24 Stun­den die Kör­p­er zu tauschen und damit die Erfahrun­gen des anderen zu erleben. Khemiris Brief rief ein gewaltiges Medi­ene­cho her­vor und fachte die Debat­te über Ras­sis­mus und Aus­län­der­feindlichkeit in Schwe­den an.

Im Zusam­men­hang mit den Unruhen dieser Tage wird erneut das Vorge­hen der Polizei kri­tisiert. Augen­zeu­gen berichteten von Über­grif­f­en und ras­sis­tis­chen Beschimp­fun­gen seit­ens der Beamten. Dass friedliche Bürg­er (physisch und ver­bal) ange­grif­f­en wor­den sein sollen, die teil­weise ver­sucht­en, die Polizei zu unter­stützen und ein­er Eskala­tion ent­ge­gen­zuwirken, ver­schärft die Sit­u­a­tion und macht die Prob­lematik noch deutlicher.

Auch wenn die Auss­chre­itun­gen in den Medi­en ein­hel­lig kri­tisiert wer­den, sucht man doch nach Erk­lärun­gen und ver­weist oft­mals auf soziale Ursachen. „Schwe­den reduziert seit den 90er Jahren die staatlichen Wohlfahrt­sleis­tun­gen. Dadurch nahm die soziale Ungle­ich­heit so stark zu wie in keinem anderen OECD-Land.“ In der Gewalt wird die kanal­isierte Unzufrieden­heit und Per­spek­tivlosigkeit der Jugendlichen aus den Vororten gese­hen. „Es ist eine kom­plexe Mis­chung aus Armut, Frus­tra­tion, Frem­den­feindlichkeit, Ohn­macht, Geografie und Klasse“, meint eine Jour­nal­istin in Dagens Nyheter.

Die recht­spop­ulis­tis­chen Sverigedemokra­ter­na teilen diese Mei­n­ung jedoch nicht. Sie nutzen die Geschehnisse, um daraus poli­tis­ches Kap­i­tal zu schla­gen und auf ihr Kern­the­ma zu ver­weisen. Dem Par­la­mentsab­ge­ord­neten Kent Ekeroth zufolge sind die Unruhen in Hus­by der ver­ant­wor­tungslosen „Massenein­wan­derungspoli­tik“ in Schwe­den geschuldet. „Das Entschei­dende ist es, die Ein­wan­derung zu min­imieren“, so der Parteivor­sitzende Jim­mie Åkesson.

Auch dass von Seit­en der Regierung zunächst nur der Min­is­ter für Inte­gra­tion eine Erk­lärung abgab, macht deut­lich wie die Allianz-Regierung unter Min­is­ter­präsi­dent Fredrik Rein­feldt das Prob­lem betra­chtet: „Die wollen Hus­by als eine Frage der Inte­gra­tion darstellen, dass es um Aus­län­der geht, die Steine wer­fen und Autos anzün­den“, nicht um ein gesamtschwedis­ches Problem.

Die Auss­chre­itun­gen in den Vororten sind destruk­tiv und nicht akzept­abel, aber vielle­icht erk­lär­lich. Zum Teil steckt sicher­lich ein­fach blinde Zer­störungswut dahin­ter, aber zum Teil hat sich Frus­tra­tion in Gewalt Bahn gebrochen. Gewalt, mit welch­er Moti­va­tion auch immer, ist zu verurteilen. Den­noch ist es die trau­rige Wahrheit, dass sich die Vere­ine und Aktivis­ten, die sich für die Belange der Vororte ein­set­zen, erst durch die Krawalle Gehör ver­schaf­fen kon­nten. Erst jet­zt wird den Prob­le­men große medi­ale Aufmerk­samkeit entgegengebracht.

 

Was folgt aus den Stockholmer Unruhen?

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.