Grönland jenseits des Klischees vom “Eskimo” im ewigen Eis

Der Sozi­ologe Frank Sowa plant ein Buch zum mod­er­nen Grön­land. Darin soll es nicht um das Klis­chee des ‚Eski­mos‘ im ewigen Eis gehen, son­dern um die Verän­derun­gen in der grön­ländis­chen Gesellschaft. Autoren für sein Buch kon­nte er bere­its gewin­nen, nun fehlt nur noch die Finanzierung. Der Wis­senschaftler stellte daher sein Pro­jekt auf die Inter­net­plat­tform Start­next, die eine Finanzierung durch Crowd­fund­ing ermöglicht.

Wir haben Frank Sowa zu seinem Pro­jekt über das mod­erne Grön­land und seine Kam­pagne auf Start­next interviewt.

Eisberg

Woher kommt dein Inter­esse an Grön­land und warum woll­test du das Buch über Grön­land machen?

Ich hat­te während meines Aus­landsse­mes­ters in Aberdeen eine sozi­ol­o­gis­che Vor­lesung bei Mark Nut­tall, einem ark­tis­chen Sozial­wis­senschaftler. Er stellte damals in ein­er Sitzung die kul­turellen Dimen­sio­nen von Glob­al­isierung­sprozessen am Beispiel der grön­ländis­chen Inu­it dar, zeigte Dias von seinen Feld­forschun­gen. Grön­län­der in Out­doork­lam­ot­ten mit Schneemo­bil in ein­er schneebe­deck­ten Land­schaft. Das begeis­terte mich nach­haltig. Ich entsch­ied, meine Mag­is­ter­ar­beit zu diesem The­menge­bi­et zu schreiben und kon­nte mit sein­er Unter­stützung an die grön­ländis­che Uni­ver­sität Ilisi­ma­tusarfik nach Nuuk, wo ich ein paar Monate im Stu­den­ten­m­i­lieu lebte. Es war eine sehr ein­drucksvolle, inten­sive Zeit für mich.

Während mein­er Feld­forschun­gen in Grön­land lebte ich auch ein paar Wochen in ein­er kleinen west­grön­ländis­chen 50-See­len-Gemeinde. Dort fre­un­dete ich mich mit ein­er älteren Frau an, die sich bei mir eines Tages beim gemein­samen Kaf­feetrinken beschw­erte, dass immer wieder Touris­ten sie besucht­en und glaubten, dass Grön­län­der in Iglus über­nacht­en und Fel­lk­lam­ot­ten tra­gen wür­den. Diese Touris­ten wären dann immer ent­täuscht, wenn sie den DVD-Play­er und den riesi­gen Fernse­her in ihrem Wohnz­im­mer sehen wür­den. Warum, so meine Bekan­nte, wüssten diese Besuch­er eigentlich so wenig über Grön­land, wo sie sel­ber – als Grön­län­derin – über ein so reich­haltiges Wis­sen von der übri­gen Welt verfüge.

Ein Buch über das heutige Grön­land ist damit längst über­fäl­lig. Ein aufk­lärerisches Buch sollte es wer­den, das als eine Kri­tik an der stereo­typen Darstel­lung von Men­schen in der Ark­tis zu ver­ste­hen ist.

Was soll/kann dein Sam­mel­band leis­ten, was in der Grön­land­forschung bish­er fehlt?

Das Beson­dere an diesem Buch ist, dass alle Beiträge auf Grön­land fokussiert sind und dass es für ein deutsches Pub­likum geschrieben ist. Andere Pub­lika­tio­nen konzen­tri­eren sich beispiel­sweise auf den gesamten zirkumpo­laren Raum, ver­gle­ichen ark­tis­che Regio­nen oder sind über­wiegend auf Englisch ver­fasst. Dabei verbindet dieser Sam­mel­band den Anspruch, kein ide­al­isiertes, ein­heitlich­es Grön­land-Bild zu kon­stru­ieren. Grön­land ist eine plu­ral­is­tis­che mod­erne Gesellschaft gewor­den und dies soll auch in den Buch­beiträ­gen deut­lich werden.

Es war immer falsch, anzunehmen, dass die Men­schen in Grön­land ger­ade aus der Steinzeit ins mod­ern­ste High-Tech-Zeital­ter ‚gerast‘ seien. Ein weit ver­bre­it­eter Irrtum ist, dass sich alle nicht-west­lichen Gesellschaften und Kul­turen gemäß eines lin­earen Evo­lu­tion­s­mod­ells ‚mod­ernisieren‘ und ‚zivil­isieren‘ und somit eine mit europäis­chen Staat­en ver­gle­ich­bare Entwick­lung erleben, jedoch in ein­er viel kürz­eren Zeitspanne. Das gegen­wär­tige Grön­land ist durch eigen­ständi­ge Trans­for­ma­tion­sprozesse gekennze­ich­net, die es zu erforschen und zu beschreiben gilt. Ich meine, dass diese Hal­tung der Grön­land­forschung gele­gentlich fehlt.

Hafen

Welche Forsch­er sind beteiligt und aus welchen Län­dern und von welchen Diszi­plinen kom­men sie?

Als ich die Autorin­nen und Autoren des geplanten Sam­mel­ban­des vor ein paar Monat­en mit dem Ziel kon­tak­tierte, den Forschungs­stand zum gegen­wär­ti­gen Grön­land aus ver­schiede­nen Per­spek­tiv­en in einem Buch zusam­men­zu­tra­gen, war ich von ihren Reak­tio­nen sehr über­rascht und über­wältigt. Viele sagten sofort zu und waren von der Idee nicht nur begeis­tert, son­dern emp­fan­den so ein Buch­pro­jekt als längst über­fäl­lig. Ger­ade für deutschsprachige Leserin­nen und Leser gab es so ein Pro­jekt bish­er noch nicht.

Es machte großen Spaß, die ver­schiede­nen The­men­felder und Diszi­plinen in einem Sam­mel­band zu vere­inen. Nach erfol­gre­ichen Bemühun­gen habe ich 15 Autorin­nen und Autoren aus Grön­land, Däne­mark, Finn­land, Öster­re­ich und Deutsch­land gewin­nen kön­nen. Mit Sophie Elix­hauser, Wolf­gang Kahlig und Jette Eistrup, Ker­stin Pas­da, Bir­git Pauk­sz­tat, Ver­e­na Traeger, Ebbe Volquard­sen und mir haben wir Beiträge von deutschsprachi­gen Grön­land­forscherin­nen und ‑forsch­ern. Darüber hin­aus erk­lärten sich mit Maria Ack­rén, Lill Ras­tad Bjørst, Rikke Hes­sel­lund, Annemette Nyborg Lau­rit­sen und Jør­gen Trond­hjem dänis­che und finnis­che Kol­legin­nen bere­it, ihre Forschun­gen für dieses Buch über­set­zen zu lassen.

Beson­ders gefreut habe ich mich, dass erst­mals mit Bir­git Kleist Ped­er­sen und Jens Hein­rich auch Grön­län­der selb­st in einem Buch ein deutschsprachiges Pub­likum ansprechen. Ihre Beiträge wur­den eben­falls ins Deutsche über­tra­gen. Der Band berück­sichtigt ver­schieden­ste Wis­senschafts­diszi­plinen wie Eth­nolo­gie, Kultur‑, Lit­er­atur- und Poli­tik­wis­senschaften und viele weit­ere. Es wird also ein sehr buntes Buch, the­ma­tisch facetten­re­ich und method­isch multiperspektivisch.

Welche The­men werdet ihr beleuchten?

Selb­stver­ständlich wird es um die Unab­hängigkeits­be­stre­bun­gen und poli­tis­chen Entwick­lun­gen im Land gehen. Dabei ist das Ver­hält­nis zu Däne­mark aus unter­schiedlichen Wis­senschaftsper­spek­tiv­en näher beleuchtet. Die Fra­gen, die da eine Rolle spie­len, sind beispiel­sweise: Inwieweit lässt sich eine Unab­hängigkeit Grön­lands real­isieren oder wie wird das dänisch-grön­ländis­che Ver­hält­nis in der Lit­er­atur behandelt?

Außer­dem wird es um die Her­aus­bil­dung eigen­er Insti­tu­tio­nen in Grön­land gehen. Wie kam es zum Beispiel zur Grün­dung von eige­nen Strafvol­lzugsin­sti­tu­tio­nen, die nicht ver­gle­ich­bar mit Gefäng­nis­sen sind und wie leben Straftäter in diesen Insti­tu­tio­nen? Aber auch: Wie kann der hohen Selb­st­mor­drate von jun­gen Grön­län­derin­nen und Grön­län­dern begeg­net werden?

Einen weit­eren the­ma­tis­chen Schw­er­punkt bilden die Beiträge zur kul­turellen Iden­tität der Grön­län­der. Fra­gen, die wir hier stellen, sind: Inwieweit bieten inter­na­tionale Ver­anstal­tun­gen wie die ark­tis­chen Win­ter­spiele eine Iden­ti­fika­tion­s­möglichkeit für Grön­län­derin­nen und Grön­län­der? Wie definieren sich junge Grön­län­derin­nen und Grön­län­dern im Stu­den­ten­m­i­lieu? Welche Rolle spielt das grön­ländis­che Essen für die Artiku­la­tion ein­er grön­ländis­chen Identität?

Weit­er­hin fra­gen wir, welche Rolle die Jagd in der heuti­gen Gesellschaft Grön­lands spielt? Wie haben sich im Laufe der Zeit Jag­drechte, Jagde­thiken und Ide­olo­gien am Beispiel der Ren­tier­jagd entwick­elt? Des Weit­eren wollen wir uns dem All­t­agsleben in Grön­land zuwen­den. Welche Bedeu­tung haben Kajaks heute in Grön­land? Und welche Rolle spielt die Mobil­ität im All­t­ag, wie bewe­gen sich Men­schen zwis­chen Stadt und Land?

Zulet­zt wollen wir auch die aktuelle Diskus­sion um den Kli­mawan­del in Grön­land auf­greifen, nehmen dabei jedoch eine grön­ländis­che Per­spek­tive ein. Wie wird denn der Kli­mawan­del in Grön­land disku­tiert und welche Verän­derung in der Natur und Tier­welt nehmen die grön­ländis­chen Inu­it wahr?

Jäger

Ste­ht der Titel schon fest und falls ja, wie wird der Sam­mel­band heißen?

Ja, der ist schon fest­gelegt. Das Buch trägt den Titel „Grön­land: Kon­ti­nu­itäten und Brüche im Leben der Men­schen in der Ark­tis“ und wird im Früh­jahr 2016 im Ver­lag Budrich Uni­Press erscheinen.

Auf welche Prob­leme bist du gestoßen, als du das Pro­jekt schließlich real­isieren wolltest?

Es ist schwierig, ein wis­senschaftlich­es Buch in ein­er rel­a­tiv kleinen Auflage ohne Druck­kosten­beteili­gung des Her­aus­ge­bers zu pub­lizieren. Ich dachte, ehrlich gesagt, dass dieses Buch­pro­jekt so span­nend ist, dass ein Ver­lag auf eine Druck­bei­hil­fe verzicht­en kann, mutig ist und an den Verkauf des Buch­es glaubt. Dem war nicht so. 

Auf­grund dieser gemacht­en Erfahrun­gen möchte ich nun einen anderen Weg ein­schla­gen: Ich habe mich entsch­ieden, dass ich als Her­aus­ge­ber des Buch­pro­jek­ts das finanzielle Risiko alleine trage, da son­st eine Veröf­fentlichung des Werkes sehr unwahrschein­lich wird. Mit dem Ver­lag Budrich Uni­Press habe ich glück­licher­weise einen Part­ner gefun­den, der nicht nur einen mod­er­at­en Druck­kosten­zuschuss ver­langt, son­dern mir auch 100 Exem­plare über­lässt, mit denen ich meine eige­nen Buchkosten refi­nanzieren kann. Dies soll über eine nun star­tende Crowd­fund­ing-Aktion geschehen.

Wie wird die Crowd­fund­ing-Aktion ablaufen?

Aus der eben beschriebe­nen Not möchte ich eine Tugend machen. Nor­maler­weise wäre dieses Buch ein Nis­chen­pro­dukt für einen kleinen Kreis von wis­senschaftlichen Spezial­is­ten und diversen Uni­ver­sitäts­bib­lio­theken gewe­sen. Mit der Crowd­fund­ing-Aktion möcht­en wir neben der sci­en­tif­ic com­mu­ni­ty nun eine bre­ite grönland‑, nordeu­ropa- und wis­senschaftsin­ter­essierte Öffentlichkeit ansprechen und somit neue Leserin­nen und Leser gewin­nen, die vorher von diesem Buch­pro­jekt nie erfahren hät­ten. Ich denke da an bil­dungsin­ter­essierte Grön­lan­dreisende oder Kreuz­fahrt­touris­ten, Studierende der Kul­tur­wis­senschaften oder Skan­di­nav­is­tik, wis­sens­durstige Ent­deck­er oder ein­fach Men­schen, die neugierig auf die Kul­tur und das Leben in Grön­land sind.

Dabei bemühen wir Beitra­gen­den uns, eine Sprache zu ver­wen­den, die ver­ständlich und anschaulich ist. Es sind also keine Vorken­nt­nisse notwendig, um die Artikel zu ver­ste­hen. Jede oder jed­er soll die Möglichkeit haben, durch das Lesen des Buch­es einen tief­er­en Ein­blick in die grön­ländis­che Gesellschaft zu erhalten.

Die Crowd­fund­ing-Aktion wird bis 21. Dezem­ber 2015 laufen. Die bre­ite Öffentlichkeit, die ‚Crowd‘, soll dabei das Pro­jekt finanzieren. Als Gegen­leis­tung wird es ‚Dankeschöns‘ geben. Die Unter­stützung begin­nt bei 8 Euro und geht dann hoch auf 33 Euro. Für 8 Euro wird man beispiel­sweise offizieller Unter­stützer des Pro­jek­ts und der Name wird im Buch erwäh­nt, für 33 Euro kann das Buch zu einem ermäßigten Preis vorbestellt wer­den. Später wird das Buch etwa 39 Euro kosten. Die Crowd­fund­ing-Aktion ist unter www.startnext.com/inuit zu erreichen.

Mode

Wenn die Kam­pagne Erfolg hat, wie sehen die weit­eren Schritte aus und wann rechnest du damit, dass das Buch zu kaufen sein wird?

Das Buch liegt derzeit in ein­er Rohver­sion vor und wird bis Ende des Jahres fer­tig sein. Falls die Crowd­fund­ing-Aktion erfol­gre­ich ver­läuft, erhält jede Unter­stützerin und jed­er Unter­stützer ihr bzw. sein Dankeschön als Gegen­leis­tung nach der Veröf­fentlichung des Werkes. Das kann die bere­its geschilderte namentliche Erwäh­nung oder das vorbestellte Buch sein. Ich gehe davon aus, dass das Grön­land­buch im März/April 2016 veröf­fentlicht wird und im Buch­han­del zu kaufen sein wird.

An dieser Stelle, hast du das let­zte Wort an unsere Leser:

Ich hoffe sehr, dass ich Euch ein biss­chen für Grön­land und mein Buch­pro­jekt begeis­tern konnte.

Mir ist es wichtig, dass jed­er Euro in das Buch investiert wird! Die Autoren und ich als Her­aus­ge­ber erhal­ten kein Geld aus der Crowdfunding-Aktion.

Es ist an der Zeit, dass dieses Buch eine deutschsprachige Leser­schaft erre­icht. Um das Buch refi­nanzieren zu kön­nen, brauche ich Eure Unter­stützung! Ihr kön­nt offizieller Unter­stützer des Buch­es wer­den oder das Buch zum ermäßigten Vorverkauf­spreis bestellen. Allen Unter­stützerin­nen und Unter­stützern schon jet­zt mein aller­her­zlich­ster Dank!

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