Heðin Brú: „Vater und Sohn unterwegs“

Es liegt eine Schule von Grind­walen im Seyrvás­fjord, eine Anzahl schweigen­der Wale, die ihre Kreise ziehen und zum offe­nen Meer streben, da hier ihr Revi­er nicht liegt […].“

Mit diesen Worten begin­nt die Erzäh­lung „Vater und Sohn unter­wegs“ über den kauzi­gen färöis­chen Fis­ch­er Ketil und seinen Sohn Kálvur. Und von Beginn an macht Heðin Brú an seinen bei­den Pro­tag­o­nis­ten das The­ma seines Romans fest: Der Bruch zwis­chen Tra­di­tion und Mod­erne und die Kluft zwis­chen den Generationen.
Als sich Vater und Sohn auf den Weg zum Grind­wal­fang machen, wün­scht sich der Junge statt zu Fuß über die Berge zu gehen, mit einem der Autos mitz­u­fahren: „Vater, sieh wie schnell die Autos fahren.“ Doch das lehnt der Alte kat­e­gorisch ab: „Du bist doch dumm bist du, Geld für diese Autos da auszugeben. […] wir wer­den schon nach Seyrvágur kom­men, auch der bedächtig geht, kommt weit.“

Als Ketil im Anschluss an den Wal­fang im Über­mut ein für ihn zu großes und zu teures Stück Walfleisch ersteigert, lassen ihm die Schulden keine Ruhe und wer­den zu ein­er nahezu unerträglichen vater-und-sohn-unterwegsBelas­tung. Ständig ist er bemüht, das nötige Geld aufzutreiben, da es für ihn als Mann sein­er Gen­er­a­tion ehrlose wäre mit Schulden zu leben oder gar mit ihnen zu sterben.

Seine Söhne haben dafür und für seine ständi­ge harte Arbeit kein Ver­ständ­nis, eben­so wenig für die ein­fachen Ver­hält­nisse in denen die Eltern leben. Sie nehmen stattdessen unbeküm­mert Kred­ite auf, um den neuen, mod­er­nen Lebensstil pfle­gen zu kön­nen und erwarten mehr vom Leben als nur das Nötig­ste. „Aber wir haben gel­ernt, uns wie Men­schen zu fühlen, wir haben gel­ernt, dass das Leben nicht nur aus trock­en­em Brot beste­ht, wir haben gel­ernt, mehr zu fordern“, wie es Ketils ältester Sohn ausdrückt.

Ich weiß auch nicht, wie es dazu kom­men kon­nte: Die Älteren haben tagein und tagaus ger­ack­ert und geschuftet und ver­sucht, mit jed­er Øre gut umzuge­hen, und nichts blieb übrig“, so Ketil, „es galt als anständig, wenn man nie­man­den etwas schuldig blieb. Aber heute! Die Jun­gen gehen an Arbeit­sta­gen, ob Som­mer oder Win­ter, zu Spiel und Spaß. Und trotz­dem kom­men sie zurecht.“

Mit diesem Roman ermöglicht uns Heðin Brú einen vielle­icht einzi­gar­ti­gen lit­er­arischen Ein­blick in den All­t­ag auf den Färöern in den 1940er Jahren und somit in eine Zeit des Umbruchs. Es geht um den Ein­bruch der beschle­u­nigten, tech­nisierten Mod­erne in eine tra­di­tionelle, aus zen­traleu­ropäis­ch­er Sicht archais­che, Fis­ch­er- und Bauernge­sellschaft. „Ich weiß auch nicht, wie es dazu kom­men kon­nte: Die Älteren haben tagein und tagaus ger­ack­ert und geschuftet und ver­sucht, mit jed­er Øre gut umzuge­hen, und nichts blieb übrig.“ Dieser Umbruch wird in den bei­den dargestell­ten Gen­er­a­tio­nen per­son­ifiziert. Der älteste Sohn spricht von ein­er „Gezeit­en­wende“. „Eure Flut ist abgeebbt, jet­zt kommt die unsrige“, erwidert er seinem Vater. Und ger­ade diese Gezeit­en­wende und dieser Ein­blick in eine kul­turell, geografisch und zeitlich so entle­gene Welt, machen Heðin Brús Roman lesenswert.

Vater und Sohn unter­wegs“ aus dem Jahr 1940 gilt als der wichtig­ste färöis­che Roman des 20. Jahrhun­derts. 2015 liegt nun erst­mals eine direk­te Über­set­zung aus dem Färöis­chen vor – eine frühere deutsche Aus­gabe basierte auf der dänis­chen Über­set­zung. Zudem trug Heðin Brú mit seinem lit­er­arischen Werk zur Aufw­er­tung der färöis­chen Sprache bei. Er war ein­er der ersten Autoren, die über­haupt auf Färöisch schrieben und damit „vor der Auf­gabe standen, ihre Mut­ter­sprache zu einem lit­er­arischen Aus­drucksmedi­um zu entwickeln“.

Am 9. Juni stellt Ver­leger Sebas­t­ian Gug­golz das Buch bei ein­er Lesung mit dem Autor und Skan­di­nav­is­ten Klaus Böldl vor.

Info:
Heðin Brú
»Vater und Sohn unterwegs«
OT: Feð­gar á ferð, 1940
Aus dem Färöis­chen und mit einem Glos­sar von Richard Kölbl
Mit einem Nach­wort von Klaus Böldl
Erschei­n­ung­ster­min März 2015

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