Island: Was haben ein Affe und ein Antarktiskoch gemeinsam?

Flateyri liegt am Nordufer des Önundarfjörður

Ostern ist vor­bei. Zeit für einen Rück­blick — auf Ostern im let­zten Jahr (2015). Das ver­rück­teste Ostern meines Lebens, vielle­icht über­haupt die ver­rück­testen Tage meines Lebens. Vielleicht.

Island, April 2015. Es fängt recht unspek­takulär an. In einem Schwimm­bad in Reyk­javik. Genauer in einem Hot Pot. Meine Fre­undin Yoshi erzählt mir von einem kosten­losen Musik­fes­ti­val in Islands West­fjor­den. “Aldrei fór ég suður” — Niemals fuhr ich süd­wärts. Ein ungewöhn­lich­er Name für ein Fes­ti­val — vor allem weil die West­fjorde haupt­säch­lich im West­en liegen und über­haupt nicht im Süden. Aber da fuhr man halt auch nie hin. Der Ver­anstal­tung­sort, Ísafjörður, liegt jeden­falls im Nord­west­en. Der Fes­ti­val­name hat eine andere Geschichte.

Meine Ostergeschichte begin­nt wie gesagt in dem Hot Pot und damit, dass eigentlich ganz viele Leute mit uns zusam­men fahren woll­ten, es hätte sich sog­ar gelohnt ein Auto zu mieten — oder zwei. Am Ende bleiben Yoshi und ich übrig und wir organ­isierten kurz vorher noch eine Mit­fahrgele­gen­heit ins fün­fein­halb Stun­den ent­fer­nte Ísafjörður. Unsere Mit­fahrgele­gen­heit ist ein Bus, ein richtiger großer Bus, außer uns fährt damit nur ein Pärchen, das auch zum Fes­ti­val will. Der Fahrer ist auf dem Rück­weg, hat Touris­ten nach Reyk­javik gebracht. Wir haben viel Platz und sitzen alle an einem der riesi­gen Fen­ster, bestaunen die einzi­gar­tige Natur, die an uns vorbeizieht.

Tag 1: Karfreitag — Ankunft am Ende der Welt

Über Ostern ist in Ísafjörður alles aus­ge­bucht. Wir wollen bei Yoshis Ver­mi­eter aus Reyk­javik über­nacht­en, der hat in der Nähe von Ísafjörður ein Ferien­haus. Lei­der hat­ten wir ihn nicht mehr erre­icht, um final zuzusagen und die Adresse zu erfahren. Über drei Eck­en und einige Tele­fonate bekom­men wir dann die Num­mer und die Adresse her­aus. Das Ferien­haus ist im 200-Ein­wohn­er-Ort Flateyri. Zwanzig Kilo­me­ter ent­fer­nt. Busse verkehren nicht. Wir trampen.

Was für ein winziger Ort — hier ist die Welt wirk­lich gle­ich zu Ende und wir sind darauf angewiesen, dass wenig­stens ein paar Leute von hier zum Fes­ti­val und zurück­fahren. Gle­ich am Abend geht es los. Wir tram­p­en und bekom­men schon kalte Füße; warten lange, kom­men aber doch ans Ziel. Das Fes­ti­val ist wun­der­voll, ein Teil der Musik­er tritt in ein­er Kirche auf, der andere in einem Restau­rant. Die Stim­mung ist großar­tig — die Schwierigkeit wieder nach Hause zu kom­men auch. Vier Spanier nehmen uns mit, Yoshi und ich teilen uns den fün­ften Platz im Auto. Aber bis jet­zt alles noch nicht so sehr verrückt.

Tag 2: Karsamstag — Bingospaß und Affenparty

Der Tag begin­nt mit einem Besuch im Freibad. Dann fol­gt der kuriose Teil des Vor­mit­tags: In der Sporthalle des Ortes spie­len wir Bin­go. Alle Ein­wohn­er Flateyris und der umliegen­den Dör­fer kom­men zusam­men, um gemein­sam Bin­go zu spie­len. Eine Turn­halle voller bin­gover­rück­ter Islän­der. Und obwohl der Aussprache isländis­ch­er Zahlen noch nicht ganz mächtig, kon­nte Yoshi eine Runde für sich entschei­den. Sie gewin­nt: Einen Turn­beu­tel, ein riesiges Schoko-Osterei, eine neon­gelbe Reflek­tor­weste und eine große Tüte Gar­ne­len. Die ist noch im Tiefküh­ler. Nach zwei Stun­den Bin­gospaß nimmt uns Yoshis net­ter Ver­mi­eter mit nach Ísafjörður. Wir set­zen uns in ein Fast­food-Restau­rant und essen Pommes. Mo und Mo set­zen sich an unseren Tisch. Yoshi hat den einen Mo schon mal in ihrer WG in Reyk­javik gese­hen, jet­zt ler­nen wir bei­de ken­nen. Mom­chill und Mouhamad. Der eine Bul­gare, der andere Fran­zose, bei­de klet­terten gern und sind auch nach Ísafjörður getrampt. Lustige Typen, wir verabre­den uns für später auf dem Konzert.

Heute find­et es in ein­er ehe­ma­li­gen Recy­cling­fab­rik statt, ein­er großen Halle und es kom­men namhafte Isländis­che Bands — namhaft in Island. Die Atmo­sphäre ist wieder großar­tig, das Bier ist teuer, aber wir haben vorge­sorgt und tre­f­fen sog­ar einige Leute, die wir aus Reyk­javik ken­nen. Musik großar­tig, alles großar­tig. Irgend­wann tre­f­fen Mo und Mo ein. Im Speisezelt nebe­nan bieten sie uns Pilze an. Isländis­che Pilze — selb­st getrock­net. Vier reichen für den Anfang. Zurück in die Halle. Ein Affe taucht vor mir auf. Ich erschrecke mich und es dauert, bis ich merke, dass es auch noch Ein­hörn­er und Giraf­fen gibt und dass Men­schen in diesen Kostü­men steck­en. Mein Kör­p­er find­et immer mehr seinen eige­nen Rhyth­mus, mein Geist sieht sich mich von oben an. Mir wird schlecht. Ich stürme nach draußen. Es geht wieder — denke ich. Mit­ten in der Menge falle ich um. Komme zu mir, werde hochge­zo­gen. Falle wieder. Yoshi, Mo, Mo und ich im Speisezelt. Besorgte Gesichter. Cola für den Kreis­lauf. Ja, ich habe heute viel Schoko­lade gegessen. Und Pommes. Schoko­lade ver­stärkt die Pilze. Kann ja kein­er ahnen. Der Affe kommt zu uns. Ich lache wieder. Rei­hum set­zten wir uns die Maske auf. Wir gehen zurück in die Halle.

Das Fes­ti­val ist vor­bei. Yoshi und ich tre­f­fen Scot­ty, er sieht aus wie ein Sur­flehrer aus Aus­tralien — ist aber ein Skilehrer aus Utah. Er wohnt auch in Flateyri und nimmt uns mit. Noch ein Abstech­er in die Dor­fkneipe. Für mich und meinen Kreis­lauf nur noch Orangen­saft. Scot­ty gibt einen aus. Yoshi nimmt auch einen. Jemand begin­nt mit uns deutsch zu reden: Aha du bist also Opern­sänger in Wien und kommst aus Flateyri. Nein, wir wohnen in Berlin, ja, da ist es schön. In Wien auch. Wie, du gehst nicht auf das Fes­ti­val? Bald ver­ab­schieden wir uns von Scot­ty und dem Opern­sänger und dem Sohn des Kneipenbe­sitzers und dem Kneipenbesitzer.

Tag 3:  Ostersonntag — Wir treffen Jimmy. Er ist Koch — in der Antarktis!

Wir machen uns auf den Rück­weg und tram­p­en von Flateyri los, es dauert sehr lange. Zum Glück ist der Mor­gen schön. Früh­stück essen wir bei bei einem Samm­ler. Er sam­melt Gitar­ren und er hat Mo und Mo nicht nur mit nach Ísafjörður genom­men, son­dern auch gle­ich mit zu sich. Nun dür­fen wir alle bei ihm früh­stück­en und seine Instru­mente bestaunen. Dann fährt er uns an eine gute Stelle zum Weit­er­tram­p­en. Noch während er unser Gepäck aus­lädt hält Jim­my. Jim­my kommt wirk­lich aus Aus­tralien und räumt für uns die Rück­bank frei. Wohin er fahre? Keine Ahnung, wo wollt ihr denn hin? Nach Akureyri oder Reyk­javik. Er ist zwar ger­ade am Vortag aus Akureyri gekom­men, aber vielle­icht fährt er dort jet­zt wieder hin. Was er mache? Koch in der Antark­tis. Nein! Ja, in der aus­tralis­chen Forschungssta­tion in der Antark­tis. Das mache Spaß. Die Stim­mung dort sei gut, auch im Win­ter. Ein aus­tralis­ch­er Antark­tiskoch macht Urlaub in Island. Fährt schein­bar plan­los durch die Gegend, sam­melt einen Haufen Europäer ein. Ein Stück kann er uns alle mit­nehmen. Dann steigen Mo und Yoshi aus, sie wollen nach Reykjavik.

Den anderen Mo und mich nimmt Jim­my noch weit­er mit. Er fährt wirk­lich zurück nach Akureyri. Mo und er wollen dann dort Snow­boar­d­en. Ich will nur nach Blön­duós, das liegt auf hal­ber Strecke. Noch davor liegt eine Bucht mit einem riesi­gen Stein mit einem Loch drin, Hvít­serkur heißt er. Ich erzäh­le den bei­den davon und wir fahren sofort hin. Liegt ja fast auf dem Weg. Der Stein ist beein­druck­end, aber noch beein­druck­ender sind die Robben. Sie beobacht­en uns wie Zootiere und fol­gen uns schwim­mend ein Stück.

In Blön­duós holt mich Andrea ab. Ich kenne sie von einem früheren Islandaufen­thalt. Jet­zt wohnt sie mit ihrem Fre­und auf ein­er Farm in der Nähe beziehungsweise eine halbe Stunde ent­fer­nt. Sie haben Kühe und Katzen. Wieder­se­hens­freude. Andrea hat Oster­essen gekocht. Lamm­brat­en und einen Oster­zopf. Sehr lecker.

Tag 4: Ostermontag — Ein Kuhstall und eine Reise in die Vergangenheit

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Andreas Bauern­hof in Island


Mor­gens um sechs ste­he ich im Kuh­stall und helfe mit. Eine andere Welt — aber irgend­wie auch ein anderes Ende der Welt. Ich füt­tere die Käl­bchen, die näch­ste Farm ist weit weg. Ich mag Kühe. Am Nach­mit­tag geht es weit­er. Erst­mal wieder nach Blön­duós, von dort mit dem Bus — der ein PKW ist — nach Ska­gas­trönd. Ein 500-Ein­wohn­er-Dorf ganz im Nor­den. Der “Bus­fahrer” bringt mich bis vor die Haustür. Drin­nen warten Halldór und Sig­ga und ihre drei Kinder. Vor zehn Jahren war ich hier Au Pair. Es ist alles wie immer. Nur die Kinder sind mal wieder gewach­sen. Die Kinderz­im­mer jet­zt Jugendz­im­mer. Die Älteste wohnt schon in Akureyri. Es gibt leck­eres Essen. Mein Isländisch ist etwas eingerostet. Wir besuchen noch die Großel­tern. Der Opa ist inzwis­chen Rent­ner und hat aller­lei Pro­jek­te. Ich bekomme zwei Wei­h­nachtsmän­ner aus Holz geschenkt. Er schnitzt davon jet­zt 120 Stück. Die wer­den in Reyk­javik und Akureyri im Wei­h­nacht­sladen verkauft. Die Islän­der sind ver­rückt. Halldór sucht eine Mit­fahrgele­gen­heit für mich. Nein, du sollst nicht tram­p­en. Er hat keinen Erfolg.

Am frühen Abend trampe ich zurück nach Reyk­javik. Mit zwei hölz­er­nen Wei­h­nachtsmän­nern im Gepäck und jed­er Menge Ein­drück­en. Eine Frau aus Reyk­javik nimmt mich mit. Früher sind viel mehr junge Leute getrampt, ja, sie hat das oft gemacht. Heute sieht man das seltener.

Tag 5: Wie hieß nochmal dieses Festival?

Yoshi und ich sitzen im Hot Pot. Ein kalter Dien­sta­gnach­mit­tag. Sie ist gut nach Reyk­javik zurück­gekom­men. Eine Frage bleibt noch offen: Woher kommt denn nun der Name “Aldrei fór ég suður”? Das ist der Titel eines Songs von Bub­bi Morthens, einem der bekan­ntesten isländis­chen Musik­er (inner­halb Islands bekan­nt). Es geht um einen Mann, der nie in den Süden fuhr, weil ihm immer der Mut fehlte. Jet­zt sind wir klüger. Ostern ist vorbei.

 

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